Die Kunst, Krimis zu schreiben 

»Morde planen mit Studierenden«

Ein Krimi-Seminar? Ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte.

Professor Dr. Matthias Kunert hat mich eingeladen, Studierenden der Fachhochschule Hamm-Lippstadt das Morden zu lehren, eine Einladung, der ich nur allzu gern gefolgt bin. Aber: Wie bringt man Studierenden das Morden bei? 

Es ist nur allzu verständlich, dass die eine oder der andere Hemmungen hatte. Das Krimigenre ist schließlich knifflig. Was macht überhaupt einen guten Krimi aus? Wie ist ein Krimi aufgebaut? Womit und wie fängt man mit einem Krimi an?

So betagt das Genre inzwischen ist – als Ursprung gilt gemeinhin Edgar Allan Poes Der Doppelmord in der Rue Morge von 1841 -, so schwierig ist es gerade als Anfänger:in, die Elemente des Genres so zu verketten, dass sie eine spannende Geschichte ergeben.

Auch ich habe mich anfangs schwergetan, ausgerechnet in dem Genre zu reüssieren, in dem nicht selten hochintelligente Kriminelle auf geniale Detektive:innen treffen, einem Genre, das davon lebt, einem gewieften Publikum gegenüber mit ebenso überraschenden wie plausiblen Wendungen aufzuwarten. 

Mit den Jahren habe ich aber einen todsicheren, spielerischen Modus operandi entwickelt, ein System, mittels dessen beinahe mühelos Krimiplots entstehen. Und dieses System wollte ich Studierenden nun vorstellen. 

Warum sind Krimis so beliebt?

Sie sind nicht totzukriegen, die Krimis. Die Agatha-Christie-Neuverfilmungen Mord im Orientexpress (2017) und Tod auf dem Nil (2022) zeugen von der ungebrochenen Faszination selbst von weidlich bekannten Klassikern des Genres. 

Ich habe mich über die Jahre eingehend mit der Literatur zum Schreiben von Drehbüchern befasst und war überrascht festzustellen, dass diese sich dem Grundmuster des Krimigenres kaum widmet – und das, obwohl es auch an Orten auftritt, wo man es (zunächst) nicht vermutet, etwa in der Mystery-Komödien-Serie Wednesday (2022). 

Die Drehbuchliteratur versäumt also etwas. Denn: Krimis sind ungemein beliebt, weil sie gesellschaftliche Tabus und Verbote bespielen, weil uns die Welt des Verbrechens ebenso fasziniert wie empört, auch, weil sie die Grenze von Recht und Unrecht verhandeln, an illustre Schauplätze versetzen und faszinierende Milieus zeichnen. 

Mir war wichtig, mein »schonologisches« System zum Entwickeln von Krimiplots nicht allzu abstrakt und theoretisch zu präsentieren, sondern im Zuge des Seminars an einem Werkstück zu erproben. Das brachte Matthias Kunert auf eine mörderische Idee … 

Täterin: Künstliche Intelligenz – ChatGPT als Krimi-Autorin

Er schlug vor, den Chatbot von OpenAI mit dem Prompt (der Eingabeaufforderung) zu füttern, einen Krimiplot zu entwickeln. Gesagt, getan. Der Plot, den ChatGPT daraufhin schrieb, hatte zwar einige brauchbare Zutaten, enttäuschte aber von seiner Gesamtrezeptur. Es gelang ihm schlichtweg nicht, die für Krimis so typische Rätselstruktur zu entwickeln, eine Struktur, die als »Whodunit« bezeichnet wird. 

Krimis als Genreliteratur – wichtige Elemente des Krimigenres

Dass es sich bei Krimis um Genreliteratur handelt, ist gerade für Anfänger:innen hilfreich – existieren doch eine Reihe vermeintlicher Regeln und Standards, die weidlich bekannt sind. Auf diese Weise funktioniert das Genre als Ko-Autor:in, es wirkt insgeheim an der Plotgestaltung mit. 

Was sind nun Grundlagen des Krimigenres? 

Bei klassischen Krimiplots geht es um die Rätselfrage »who has done it?«, daher auch der Terminus technicus »Whodunit«: Es werden mögliche Verdächtige vorgestellt und mögliche Tathergänge, bis in einer finalen Wendung das wahre Tatgeschehen enthüllt und der:die wahre Täter:in überführt wird.

Bei Krimiplots geht es folglich stets um die Frage: Was geschah nur scheinbar, was tatsächlich? 

Die des Verbrechens unschuldigen Verdächtigen und die nur vermeintlichen Tathergänge sind falsche Fährten, die berühmten »red herrings«.

Außerdem wichtig für Krimiplots: Wer weiß wann was – und wieviel? Denn es gibt immer wieder einmal Tatsachen, die nur der:die Täter:in wissen kann, dieses Tatwissen taugt hin und wieder auch einmal für die Überführung – wie haben Sie das wissen können, Mrs. Guilty?

Schritt für Schritt zum erfolgreichen Krimi-Schreiben

Der Clou meiner Methode ist, kurz gesagt, die chronologische Ereigniskette bis zur Tat (die »Story«) von der Abfolge der detektivischen Ermittlungsarbeit (dem eigentlichen »Plot«) gedanklich zu trennen – und so gleichsam in umgekehrter Reihenfolge vorzugehen. 

Zunächst werden die Fragen beantwortet, wer das Opfer sei, wer der:die Täter:in und warum. Dann wird die Ereigniskette bis zur Tat ausgetüftelt – wie wurde die Tat geplant? Wer war wann wo und wusste was und wieviel? Wie wurde die Tat verübt? Ging dabei etwas schief? Welche Spuren wurden hinterlassen? Gab es Zeug:innen? Was bekamen sie mit?

Erst im nächsten Schritt, wenn das Verbrechen bereits verübt ist, wird der eigentliche Plot entwickelt, als eine Art »Umstülpung« der Ereigniskette. Die Folgen des zuletzt Geschehenen, die Tat, wird meist zuerst entdeckt, bis sich der:die Detektiv:in zu deren (Erst-)Ursachen zurückermittelt.

Der Plot wiederum wird als eine Kette von Standardsituationen (Tat – Entdeckung der Tat – Fund- bzw. Tatortarbeit – erste Befragungen usf.) vorgestellt. Solcherart folgt Hinweis auf Hinweis, Verdächtige:r auf Verdächtige:r. 

Faszinierende Figuren entwickeln

Da sich das Grundmuster des Genres, der Whodunit, – von dem sich freilich reichlich Abwandlungen finden – als logisches Rätsel entwickelt, bleibt für die Figurenentwicklung gemeinhin weniger Raum als in anderen Genres. 

Das allen auftretenden Figuren Gemeinsame: Ihnen wird ein mögliches Motiv für die Tat unterstellt.

Für die Verdächtigen gilt: Auch sie sollten, wie der:die Täter:in, etwas zu verbergen haben – Mitwisser- oder Komplizenschaft, ein anderes Verbrechen, eine Affäre, etwas Schambehaftetes etwa -, damit sich spannende Konflikte und überraschende Auflösungen entwickeln lassen. 

Doch auch das Opfer kann das Publikum posthum noch überraschen: Indem durch die Ermittlungsarbeit zutage tritt, dass der artige und angesehene Bürgermeister sinistren Vergnügungen nachging etwa oder der vermeintliche Schwerverbrecher eine so ganz andere, zarte Saite verbarg oder gar aus seinem kriminellen Geschäften aussteigen wollte.

Für die Detektiv:innen-Figur gilt: Es ist vor allem ihre Methode, die sie charakterisiert: Ist sie Profi oder Amateur:in? Geht sie wissenschaftlich oder street smart vor? Hat sie besondere Befähigungen? Oder Einschränkungen?

Oft wird dem:der Detektiv:in jemand zur Seite gestellt, zu denken ist an Sherlock Holmes‘ treuen Gefährten Dr. Watson. Das Etablieren einer solchen Figur dient der Sympathielenkung und Identifikationssteuerung – indem wir auf dem Wissensniveau von Watson bleiben, erscheint uns Holmes‘ Kombinationsgabe genial, er ist Watson – und uns – stets voraus.

Ist eine schlüssige Ereigniskette (Story) geknüpft und, gleichsam umgestülpt, als Ermittlungsablauf (Plot) angeordnet, heißt das aber noch nicht, dass die von einem anspruchsvollen Publikum erwartete Hochspannung garantiert ist.

Lediglich ein grausames, rätselhaftes Verbrechen zu verüben und dann peu à peu aufzudröseln, wie es geschah, ist heutzutage einfach nicht mehr fesselnd genug. Das zeitgenössische Publikum ist verwöhnt, gewitzt und medienerfahren, es zu langweilen wäre die verwerflichste aller Sünden.

Vier Spannungsmittel

Entsprechend legte ich den Studierenden nahe, gekonnt mit den vier Spannungsmitteln mystery,  tense, suspense und surprise umzugehen.

  • mysteries stellen dem Publikum (logische) Rätsel wie die Grundstruktur des Genres selbst, nicht von ungefähr wimmelt das Genre von geheimen Botschaften, Codes und Symbolen, versteckten Hinweisen und Geheimgängen.  
  • tense versetzt das Publikum in antizipierende Spannung, was geschehen werde – durch Gefahrensituationen, Ängste, Hoffnungen, Pläne, Schwüre, Atmosphäre, Orakel und Omina.
  • suspense verschafft dem Publikum ein Mehrwissen, es erfährt etwa, dass Figuren unwissentlich in Gefahr schweben, sodass es sie am liebsten warnen würde.
  • surprises warten mit der Verblüffung auf, dass alles anders ist, als das Publikum zunächst annahm.

Um die Hochspannung ins Unermessliche zu steigern, stellte ich noch weitere Elemente vor, aus denen sich angehende Krimi-Autor:innen bedienen sollten: Deadlines und Last-second-rescues, Backstorywounds und schlicht der Umstand, dass der:die Täter:in im Zuge des Plots nicht untätig bleibt, sondern vielmehr weitere Verbrechen begeht oder gar den:die Ermittler:in attackiert.

Geheimnisse eines großen Finales

Hetzt der:die Detektiv:in in einer Last-Second-Rescue zum (möglichen) Schauplatz eines weiteren, grausamen Verbrechens, um es zu vereiteln und ist der:die Täter:in ein:e völlig andere:r als erwartet, mündet der Krimiplot bereits in ein faszinierendes Finale.

Es wird noch einmal fulminanter, wenn hierbei die angenommenen Tathergänge allesamt verworfen werden, sich schlagartig enthüllt: Die Hinweise und Indizien haben einen gänzlich anderen Geschehensverlauf nahegelegt, als sich jetzt als der wahre herausstellt. Alles war anders, als es zunächst schien!

Der (Serien-)Täter kehrt stets zum Tatort zurück

Studierende in der hohen Schule des Mordens zu unterweisen, war mir ein außerordentliches Vergnügen. Deren Feedback und auch das von Matthias Kunert beflügelte mich solcherart, dass ich wohl auch in einem kommenden Semester erneut zu Storytelling und Dramaturgie referieren werde. Überdies spiele ich mit dem Gedanken, eine Art Praxisbuch »Morden leicht gemacht«  zu schreiben, sollte ich die Zeit dazu finden.  

Ich hoffe, dass ich mit dieser kurzen Skizze der »schonologischen« Krimi-Entwicklungs-Methode auch bei Euch, geschätzte Leser:innen, für Aha-Momente und Inspiration für eigene Verbrechen sorgen konnte.

Euer

Postskriptum: Ein Nachtrag: Dieser Blogue-Artikel vermittelt einen Einstieg ins Schreiben von Krimiplots, ich habe inzwischen weitere nützliche Artikel zum Thema verfasst – namentlich zur Innovation im Krimigenre sowie eine Rezension eines Handbuchs zum Verfassen »verdammt« guter Krimis.


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