Friedrich von Schon drowning in his office

So machst Du Dein Erzählen »wetterfest«

Wie verändert der Klimawandel Dein Storytelling?

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Veränderungen im Welt- und Menschenbild prägen unweigerlich unser Erzählen.

Die Folge: Wer den stetig evolvierenden Mentalitätswandel verschläft, dessen Erzählen wird irgendwann antiquiert wirken. Gewitzte Erzähler:innen aber sind ihm auf der Spur, manches Mal gar voraus. Sie nutzen ihn, um ihr Storytelling zu innovieren und mit Relevanz aufzuladen – worauf ich bereits in meinem Artikel über Innovation im Krimigenre (und anderswo) hingewiesen habe.

Kaum etwas wird das zeitgenössische Welt- und Menschenbild so sehr prägen wie: Der Klimawandel.

Dass wir bereits mittendrin sind in vielstimmigen weltanschaulichen Umwälzungen, die den Klimawandel begleiten, belegt der Anstieg von Suchanfragen zu entsprechenden Themen bei populären Suchmaschinen.

Welcherart diese Investigationen sind, visualisiert ein interaktiver Globus, er zeigt, in welcher Stadt der Erde welche Klimafragen am häufigsten gestellt wurden. 

Der Klimawandel fordert uns auf, uns zu positionieren.

Wenngleich wir Mitteleuropäer bislang noch in geringerem Maße von den Konsequenzen der Erderwärmung betroffen sind als etwa Asien, wäre es verfehlt, hoffnungsfroh künftige erlesene Weine und duftende Kaffeegewächse aus Sachsen zu besingen – es sei denn in satirischer Absicht, so wie‘s der Kabarettist Rainald Grebe tat. Ebenso verbietet sich‘s, die Drohungen des Klimawandels schlicht ähnlich zu ignorieren, wie es zahlreiche Figuren in dem Netflix-Film Don’t Look Up (2021) angesichts eines auf den Planeten Erde zurasenden Kometen tun.

[Graffito des britischen Street Artists Banksy zum Thema]

Der Klimawandel wird uns nicht allein herausfordern durch Extremwetterereignisse, »Climigration« und geopolitische Konflikte. Er sollte – und wird – unweigerlich unser menschliches Erzählen prägen – und das auf globaler Ebene.

Mit welchen Umwälzungen im Erzählen zu rechnen ist, dazu habe ich, basierend auf dem sich bereits abzeichnenden Mentalitätswandel, schonologische Prognosen erarbeitet, die ich im Folgenden entfalten werde.

* Zur Inspiration, um Deine eigenen Erzählungen wetter- und zukunftsfest zu machen, biete ich Dir begleitend zu meinen Prognosen aktivierende Fragen an, die Du Deinen Storys stellen kannst. Du findest sie – wie diesen Text – jeweils eingerahmt.

Der Klimawandel bringt Erzählmotivation, Erzählbedarf und Konfliktpotenzial, …

Schon jetzt ist zu erkennen, dass die Erderwärmung reichlich Konfliktpotenzial mit sich bringt: Länder des globalen Südens fordern mit einigem Recht, vom Lebensstandard zu den wohlhabenden Industrienationen aufzuschließen, überdies auch Entschädigung dafür, dass sie Leidtragende von Emissionen sind, die in weiter Ferne in die Atmosphäre geblasen wurden und werden.

Infolge von Überflutungen, Stürmen, Wüstenbildung, Erdbeben, Artensterben, aber auch Überbevölkerung, Ressourcenknappheit, Auseinandersetzungen um Trinkwasser, Nahrung und Rohstoffe ist mit wachsenden Migrationsbewegungen zu rechnen.

Zugleich entspinnen sich Konflikte zwischen Nutznießer:innen klimaschädlichen Wirtschaftens und Reformer:innen, zwischen den Generationen, zwischen jenen, die einen agréablen, aber umweltschädlichen Lebensstil nicht missen möchten und denen, die befürchten, dass es schneller als erwartet ohnehin ungemütlich werden wird.

Umweltaktivist:innen wählten und wählen umstrittene Protestformen, die zwar für Aufmerksamkeit sorgen, aber ihrerseits ebenfalls Konfliktpotenzial bergen – wer Kunst liebt, wird ästhetisch unattraktiv finden, wenn an ansehnlichen Gemälden menschliche Anhängsel kleben. Und Kartoffelpürée, Sahne oder Tomatensuppe als Zutat für das Bildgefüge eines Monets, van Goghs oder da Vincis ist auch eher Verunzierung als appetitlich.

[Mittels KI erstelltes Bild zum Thema: Verunzierung von Kunst durch Klimaaktivismus]

Möglicherweise steht aber gar eine Radikalisierung bis zu veritablem Ökoterrorismus zu befürchten, wie ihn Kim Stanley Robinson in seinem Roman Das Ministerium für die Zukunft (2020) {*} beschreibt: Hier attackiert die Terrorgruppe Children of Kali Kohlekraftwerke, greift den Flugverkehr mit Drohnen an und nimmt gar das Weltwirtschaftsforum in Davos als Geisel. 

Konflikte sind aber seit jeher Grundzutat von Spannungsdramaturgien, sodass sich mit dem klimawandelbedingten Mentalitätswandel reichlich Erzählpotenzial auftut – und vielleicht noch mehr Erzählbedarf, um die menschlichen Dramen zu ermessen und die schwelenden und ausbrechenden Kämpfe zu verhandeln und zu begreifen.

Überdies geht die konfliktreiche Ausgangslage mit einem pressierenden Handlungsbedarf einher, die »ticking clock« klackt immer lauter angesichts der Gefahr, Ökosystem-Kipppunkte zu überschreiten und die »last second rescue« und damit ein »happy end« zu verfehlen.

Angesichts der Dringlichkeit stellt sich wie von selbst die Erzählmotivation ein, aufzuklären, zu mahnen, zu warnen und erfinderisch nach Lösungen zu suchen und für sie zu werben.

… aber bisherige Erzählformen werden dem Klimawandel nicht gerecht

In seinem vielbeachteten Essay Die große Verblendung (The Great Derangement, 2016) {*} schrieb der Romancier Amitav Ghosh, dass die Form des klassisch-realistischen Romans nicht tauge, um von dem Klimawandel zu erzählen.

Hierfür nennt Ghosh folgende Gründe: 

  • Der klassisch-bürgerliche Roman erzähle, was sich in der Vergangenheit zugetragen habe und was gegenwärtig geschieht, nicht aber von der Zukunft.
  • Außerdem widme er sich dem realistischen Abbild der Gesellschaft und des Alltäglichen, das »Unwahrscheinliche« – wie extreme Naturereignisse – klammere er aus.
  • Sein herkömmliches Format werde von den globalen Dimensionen des Klimawandels und dessen Langfristigkeit gesprengt.
  • Mit seinem Fokus auf den Einzelnen mache’s der klassische Roman unmöglich, von etwas zu erzählen, was die gesamte Menschheit betreffe.

Dass der Roman an der Menschheitsaufgabe scheitere, die kommenden Veränderungen zu vermitteln und hiermit zu helfen, sie zu bewältigen, sei ein Armutszeugnis für die Kultur:

„Wenn bestimmte literarische Formen außerstande sind, durch diese Wildwasser zu navigieren, dann werden sie Schiffbruch erleiden – und in diesem Scheitern wird man ein tieferes Versagen von Imagination und Kultur im Zentrum der Klimakrise erkennen müssen.“

Amitav Ghosh

Der Bestsellerautor übersieht zwar nicht, dass es ein populäres Genre gibt, das sich durchaus der Zukunft und auch unwahrscheinlichen Ereignissen widmet: die Science Fiction. Dies ist ihm aber wiederum nur Symptom dafür, wie fremd das Thema dem klassischen Roman eigentlich ist:

„Es scheint, als werde das Thema Klimawandel von der literarischen Imagination als irgendwie geistesverwandt mit Außerirdischen oder interplanetarischen Reisen empfunden“

Amitav Ghosh

Tatsächlich ist es so, dass die Science Fiction von der seriösen Literaturkritik eher verschmäht respektive nur am Rande besprochen wird. Ein weiterer Hemmschuh ist wohl die Sorge, Kunst könne bei Verhandeln des virulenten Themas nurmehr zu Aktivismus werden und hierdurch womöglich in ästhetischer Hinsicht uninteressant.

Aber: Stimmt das?

Ganz gleich, wie wir uns zu Ghoshs Ansichten positionieren, tatsächlich ist »Climate Fiction« (kurz: »Cli-Fi«) ein wachsendes Genre – und das Thema wurde auch nicht erst in jüngster Zeit, mit dem Aufkommen massiver journalistischer Berichterstattung über den Klimawandel, verhandelt.

Insbesondere die audiovisuellen Erzählmedien – Kino, Fernsehen, Streaming-Filme und -Serien – , die sich oftmals stärker dem Spektakulären verpflichtet fühlen als etwa die Literatur – haben sich des Themas angenommen, bspw. im Genre des Katastrophenfilms und der Science Fiction, etwa in Emmerichs The Day After Tomorrow (2004) {*}, der Miniserie The Swell – Wenn die Deiche brechen (Als de dijken breken) (NL/B 2016) {*} oder Der Schwarm (2023, nach Schätzings Roman) {*}. 

Aber auch in der Literatur wird das Sujet seit längerem bearbeitet, so bereits in J.G. Ballards Die ertrunkene Welt (1962) oder Ursula K. Le Guins Das neue Atlantis (1975). Dirk C. Fleck schreibt seit den 1990er Jahren Bücher, die Folgen des Klimawandels erzählen (Palmers Krieg, 1992 {*}, Go! Die Öko-Diktatur (1993)), die taz nannte Fleck gar den »Vater des Ökothrillers«. Zeitgleich mit Fleck veröffentlichte Octavia E. Butler den für die Cli-Fi stilbildenden Roman Das Gleichnis vom Sämann (1993).

Schriftsteller:innen wie T.C. Boyle (Ein Freund der Erde, 2000 {*}), Margaret Atwood (Oryx und Crake, 2003 {*}), Cormac McCarthy (Die Straße, 2006 {*}), Ian McEwan (Solar, 2010 {*}), Ilija Trojanow (EisTau, 2011 {*}) oder Claire Vaye Watkins (Gold Ruhm Zitrus, 2015 {*}) haben den Klimawandel ebenfalls als Sujet bearbeitet.

Auf den ersten Blick erzählenswert erscheinen die zu befürchtenden Katastrophen und ihre gesellschaftlichen Folgen. Ich erwarte allerdings Erzähl-Innovationen in noch ganz anderen Bereichen.  

Die schonologischen Prognosen:

1. Umcodierung von Genres und Erzählsituationen

Zunächst einmal werden etablierte Konstellationen, Situationen sowie »Masterplots« umkodiert, der Mentalitätswandel deutet sie um.

Nehmen wir das berühmteste Buch der Welt {*} mit seinen Erzählungen: Ein für die Klimakrise sensibilisiertes Publikum wird die Vertreibung eines Menschen-Pärchens aus dem Paradies, dem fruchtbaren Garten Eden, hinaus in eine Einöde, in der sie für ihr Überleben im Schweiße ihres Angesichts arbeiten müssen, anders begreifen als sorglosere Generationen zuvor.

Wenn wir lesen, wie ein schräger Vogel Unwetter heraufziehen sieht und ein Boot zimmert, um nicht nur seine Familie, sondern auch die Tiere jeweils paarweise vor dem drohenden Untergang durch eine Sintflut zu retten, deuten wir dies heutzutage ökologisch.

Und den Untergang unserer Welt in der Apokalypse können wir uns aktuell sehr gut als klimabedingt verursacht vorstellen.

* Gibt es in Deiner Story Figuren, Masterplots, Mythen, Situationen, die im Lichte des Klimawandels neue Bedeutung erlangen (könnten)?

2. Die Natur als Figur

War die Natur, zumal in turbokapitalistischen Systemen, schlicht leblose Ressource, totes Material und unbelebte Ware, haucht der Mentalitätswandel ihr nun pantheistisch wieder Leben ein.

Die Natur wird unter dem sich herausbildenden Mitleidsblick zur Akteurin, wandelt sich einerseits zurück zur geschundenen »Mutter Erde«, wird gar zum »Pflegefall Gaia«, die ins Koma zu fallen droht und für die Wiederbelebungsmaßnahmen vorzubereiten sind.

Andererseits bäumt sich die Natur in ihrer Verletzlichkeit auf und wird zornig, sehr zornig. Als Nemesis sinnt sie auf Rache an der Menschheit, will ihre Schuld sühnen und traktiert sie mit Erdbeben, Sturmfluten, Feuersbrünsten, Hagel und Sturm.

Um diese Rolle der Natur zu illustrieren, eignet sich aber auch das Mittel, dass Pflanzen oder Tiere antagonistisch agieren – und dies eben nicht nur vereinzelt, sondern rätselhaft konzertiert, artübergreifend und gemeinschaftlich. Wenn Tiere und Pflanzen, die sonst einander jagen, bekämpfen und fressen, plötzlich gemeinsam dem Menschen den Garaus zu machen suchen, stellt sich mysteriöses Unbehagen ein. Spürbar wird, dass der Mensch von den nichtmenschlichen Lebewesen des gemeinsamen Lebensraums »Planet Erde« als Gefahr wahrgenommen wird. So entfaltet sich ein Paranoia-Szenario, in dem der Mensch isoliert wird, Pflanzen und Tieren seiner Umgebung nicht wie gewohnt trauen kann oder über jene, die ihm schon immer gefährlich werden konnten, die Kontrolle verliert.

* Spielt Deine Story an einem leblosen Schauplatz oder hat die umgebende Natur einen eigenen Charakter?
* Schützt, belohnt oder bestraft diese belebte Natur Deine menschlichen Figuren – je nach deren Handeln?
* Ist diese Natur als Charakter mitleiderregend, rachsüchtig oder beides zugleich?

Dass menschliche Erzählungen einerseits die Rache der Natur fürchten, sie andererseits aber auch ersehnen als gerechte Strafe für menschliche (Mit-)Schuld, erscheint paradox.

Auf eben diese Paradoxie weist die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn in ihrem Buch Zukunft als Katastrophe {*} hin: Im gegenwärtigen Kino grassiere eine „Apokalypse-Manie“,  auf der Leinwand seien zahlreiche Weltuntergangsphantasien zu sehen, die Angst- und Wunschträume des zeitgenössischen Publikums aufgriffen. Diese Geschichten von Krankheit und Heilung würden bizarrer Weise erzählt von einem „Wesen, das selbst die Krankheit“ ist und somit „von der eigenen Auslöschung“ träumt.

Im Lichte des menschengemachten Klimawandels werden Schuld und Sühne abermals miteinander verquickt, nur eben in ökologischer Hinsicht. Diese ökologische Verquickung von Schuld und Sühne macht sich bemerkbar in einem unverkennbaren …

3. Umbruch im Plotdesign

Peter Rabenalt beklagt in seinem Buch über Filmdramaturgie {*}, dass im populären Erzählen oftmals erst der Eingriff einer antagonistischen Figur die Geschichte in Gang bringt.

Meine Prognose: Zukunftsfähige Plotgestaltung wird sich auf antike Tugenden besinnen, namentlich die Poetik {*} des Aristoteles. Denn: Hier ist es die Hauptfigur selbst, die durch einen Fehltritt, eine Schuld, die Katastrophe der Tragödie (zumindest mit-)verursacht.

Zu erwarten ist: Diese (Mit-)Schuld wird im Anthropozän eine Renaissance erleben: Waren populäre Protagonist:innen lange nicht Teil des Problems, gilt dies nun nicht mehr.

Wir alle, die wir unseren Lebensstandard beharrlich verteidigen und uns nicht bequemen können, liebgewonnene, aber umweltschädigende Gewohnheiten zu ändern, sind Teil des Problems, nicht der Lösung.

Wohl aufgrund dieses Wissens legen wir das bizarre Verhalten an den Tag, von unserer eigenen Auslöschung zu träumen: Wenn die Menschheit nicht mehr ist – so die Traumphantasie – , wird die Natur ihren Lebensraum zurückerobern und ihn zurückverwandeln in ein neues, idyllisches Arkadien.

* Sind in Deiner Story Figuren allzu sorglos, was ihren Beitrag zur Umweltzerstörung angeht?
* Lastet Deine Story Umweltzerstörungen allein Antagonist:innen an?
* Lässt sich Deinen Hauptfiguren eine innere Zerrissenheit geben, die sie zwischen (Mit-)Schuldbewusstsein, Verdrängung, Bequemlichkeit und ein Leiden an derselben schwanken lässt?

4. Wandel des Figurendesigns

Will Storr entfaltet in The Science of Storytelling {*} – zu dem ich eine Rezension verfasst habe -, dass westliches Erzählen darauf fußt, dass im alten Griechenland einzelne ihren Unterhalt als eine Art antike Solopreneur:innen verdienen mussten und Gewinner:innen sportlicher Wettkämpfe hoch angesehen waren. Selbst Dichtung wurde als Wettstreit betrieben, Sieger:innen per Akklamation gekürt. So entstand die solitäre Held:innenfigur, die ihre Ziele beharrlich verfolgt, Widerständen trotzt und antagonistische Figuren bezwingt.

Weitergetrieben wurde dieser Figurentypus durch die ökonomische und spieltheoretische Denkfigur des Homo oeconomicus, der Vorstellung, Menschen agierten stets auf ihren Vorteil bedacht und rational, wählten immerzu die für sie persönlich lukrativste Option.

Nun ist eben jener Homo oeconomicus seit einiger Zeit unter Beschuss geraten (vgl. Schirrmachers Ego. Das Spiel des Lebens {*}), häufen sich doch die Erkenntnisse, dass Menschen alles andere als rational und schon gar nicht immer zu ihrem (langfristigen) Vorteil agieren – wofür der Klimawandel das vielleicht beste Beispiel ist.

Entsprechend können Figuren, die wie der Homo oeconomicus nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, nicht mehr zu Protagonist:innen der Handlung werden. Sie kommen nurmehr als antagonistische Charaktere in Betracht.

Der Homo sapiens, der »wissende Mensch«, ist aufgerufen, Kooperation statt Konfrontation zu wählen, wenn er nicht zum Homo suicidalis werden will.

Angesichts des klimawandelbedingen mentality shifts zeichnen sich beim menschlichen Personal vielfältige Veränderungen ab.

Im Anthropozän findet sich nicht nur der Konflikt »Natur vs. Menschheit«, sondern es entbrennen auch jene Konflikte, die sich aus der Positionsnahme und dem Verhalten des menschlichen Personals ergeben. Da der Klimawandel menschengemacht ist, ist er in erzählerischer Hinsicht immer auch eine moralische Angelegenheit. Insofern lässt er sich als Kriminalgeschichte lesen.

So gruppieren sich die menschlichen Dramatis Personae zunächst, wie im Krimi, in eine Trias von 1. Opfern, 2. Täter:innen und 3. ermittelnd-aufklärende und nach Gerechtigkeit fahndende Figuren.

Weil sie die ersten und am stärksten betroffene Gruppe sind, haben Menschen des globalen Südens eine wichtige Rolle und Stimme.

Da neben der Aufklärungs- und Schuldfrage Katastrophen und Konflikte lauern, aufbrechen und eskalieren, sind die positiv belegten Figuren nicht nur selbst Opfer, Ermittelnde und Sühnende, sie suchen überdies Pflanzen, Tiere und Menschen zu schützen und zu retten.

Aufgrund dieser Konstellation eignen sich insbesondere Charaktere, die die Wissenschaft repräsentieren, als heldische Figuren, waren sie es doch, die schon seit Jahrzehnten vor den Folgen der Umweltzerstörung warnten.

Täter:innen wiederum rekrutieren sich aus Unternehmen, die Emissionen verursachen, ihre (Mit-)Schuld vertuschen beziehungsweise verkörpern sie jene politischen Kräfte, die wichtige Maßnahmen blockieren oder schlicht das Falsche tun.

Entsprechend kehren Figurenstereotype zurück, wie wir sie aus antikapitalistischen Erzählungen kennen – raffgieriges, nur auf ihren Vorteil bedachtes Firmenpersonal – die »Evil Inc.«, das »böse Unternehmen«, ist bereits zu einem weitverbreiteten Klischee geworden – ebenso wie auf ihren eigenen Vorteil bedachte oder korrupte Politiker:innen.

(Mit-)Täterschaft erstreckt sich in der sich zuspitzenden Lage aber nicht nur auf aktives Mitwirken an der Umweltzerstörung, schlichtes Ignorieren oder Leugnen der Gefahr ist ebenso ein Anzeichen dafür, dass eine entsprechend agierende Figur zu den antagonistischen Kräften gehört.

Positiv gezeichnet sind Personen aus Öko-Aktivismus- und Lebensreform-Kreisen, u.U. auch aus religiös-esoterisch-naturmystischen, jene Charaktere, die eine stärkere Verbindung zur Natur haben als wirtschaftlich denkende Utilitarist:innen. Jene also, die schon lange warnen, mahnen, die Verzicht und den Rückkehr zu einer natürlichen Lebensweise predigen oder gar den nahenden Untergang prophezeien.  

Da die Jüngeren in ihren Lebensläufen stärker betroffen sein werden als die Älteren, eskalieren neben den geopolitischen auch Generationenkonflikte. Eben weil sie jünger sind und stärker betroffen, agieren kindliche, jugendliche und jung erwachsene Figuren oftmals radikaler und fanatischer.

Aufgrund der Dringlichkeit des Wandels bildet eben diese Radikalität die Kehrseite der Medaille: Figuren mit fanatischer Ideologie, die sich gar mit Terrorakten Gehör zu verschaffen suchen oder eine Diktatur errichten (wollen), um reaktionsschnell zu werden, zeigen, dass ungeachtet der gebotenen Rasanz eine Balance zu finden ist zwischen Geschwindigkeit in der Umsetzung von Öko-Maßnahmen und der Notwendigkeit, soziale Gerechtigkeit und individuelle Freiheit zu erhalten. Unter Druck geraten zweifelsohne all jene Figuren, die ›Demokratie‹ repräsentieren. Denn: Verhandlungen und Kompromisse benötigen Zeit – die immer knapper wird.

* Gruppiert sich Dein Figurenpersonal entlang der neu sich formierenden – oben skizzierten – Konfliktlinien?
* Lassen sich hierbei allzu stereotype Darstellungen vermeiden und Ambivalenzen einarbeiten?
* Erzählt Deine Story allzu »eurozentrisch«? Lassen sich Perspektiven des globalen Südens artikulieren?

5. Neue Konstellationen: Kooperation statt Konkurrenz

»Der Gesunde hat tausend Wünsche, der Kranke nur einen.«

Indisches Sprichwort

Das indische Sprichwort gilt auch für die Menschheit als Ganzes: Je mehr der Klimawandel die Spezies in ihrer Gesamtheit bedroht, desto stärker wird sie der Wunsch treiben, schlicht zu überleben. Es ist zu hoffen, dass dieser immer stärker werdende Wunsch die widerstreitenden Partikularinteressen einebnen und den Schulterschluss aller Betroffenen ermöglichen wird.  

Die Menschen wird, so die Hoffnung, mehr und mehr der gemeinsame Wunsch einen, zu überleben und der Klimakrise zu trotzen.

Zur Persona ingrata wird der übergroße Menschenheld, der alle Prüfungen allein besteht. Das Ausmaß von Kataklysmen und Katastrophen erfordert das Erzählen über Ensembles. Konkurrierende Einzelkämpfer:innen weichen Kooperierenden, die über große Entfernungen hinweg zusammenarbeiten müssen. In Klimaerzählungen kämpfen statt solitäre Weltenretter:innen tragisch scheiternde, allenfalls ›reparierende‹, glimpflich davonkommende (Anti-)Held:innen um ihr Überleben oder darum, das vermeintlich Unausweichliche doch noch abzuwenden, Feinde dazu zu bewegen, sich zu versöhnen, um gemeinschaftlich das Überleben der Menschheit zu sichern.

* Erzählt Deine Story von einer heldischen Hauptfigur, die ihre Gegner:innen im Alleingang bezwingt – und wird dies der Konfliktlage gerecht? Lässt Deine Geschichte sich stattdessen nicht besser multiperspektivisch als Ensemblestück erzählen?
* Lässt sich in Deiner Story Kooperation als gewinnbringender zeichnen als das Überwinden von Widersacher:innen in Konkurrenz, Konfrontation und Konflikt?

6. Neue Konstellationen von Mensch, Tier und anderen Wesen

Individualistische Konkurrenz weicht der Aufgabe kollektiven Kooperierens – und dies nicht nur unter Menschen. Die Kooperation weitet sich aus in einen anthropo-a-zentrischen »Spezien-Egalitarismus«, der Fauna und Flora umfasst.

Tiere – so sie nicht Teil der rächenden Natur sind – wandeln sich von bedrohlichen Fremden bzw. versklavten Nutzgeschöpfen zu Vertrauten und Gefährten, sie werden unter Perspektive des Mitleidsblicks als Mitgeschöpfe, als companion species betrachtet.

Da der neue, anthropozäne Diskurs (menschliche) Partikularinteressen einebnet, fordern nichtmenschliche Akteure ihr Recht auf Erzähltwerden und Sich-Selbst-Erzählen.

Aber nicht nur Tiere melden sich zu Wort, auch Pflanzenwesen, Geschöpfe aus Fabel, Märchen und Naturmythos überschreiten ehemals eherne Gattungsgrenzen, Gestalten, die den Raubbau und die Unzulänglichkeit der Menschheit beenden, zügeln, ungeschehen machen. Ein Beispiel für diesen Figurentyp bildet etwa die Alien-Rettergestalt »Klaatu« aus The Day the Earth Stood Still (USA 1951/2008).

Tiere, Pflanzen, Mischwesen, Naturgeister, Gestaltwandler, Schwärme – erheben ihre Stimme, mitunter für den Menschen unverständlich, verstoßen ihn oder gemeinden ihn ein in eine symbiotische Gemeinschaft – dystopisch gewendet wie die Vereinnahmung des Menschen durch die Ameisenkolonie in Phase IV (UK/USA 1974) oder utopisch in einer friedlichen Koexistenz gleichberechtigter Geschöpfe, die unseren blauen Planeten hegen und pflegen.

* Erzählen Tiere – gar Pflanzen oder Pilze? – in Deiner Story ihre eigene Geschichte?
* Wird das Gegeneinander von Mensch und Tier problematisiert und/oder ein neues Miteinander der Spezies entworfen?
* Bevölkern die beseelte Natur noch andere Wesen, die symbolisch von einem anderen Umgang mit ihr erzählen?

Zukunft ist, was Du draus machst

Eins ist gewiss: Das Erzählen wird sich wandeln im Zuge des mentality shifts, den der Klimawandel forciert. Lauter werden die Stimmen der Mahnenden, Warnenden und derjenigen, die zu gemeinsamer Anstrengung auffordern, die Erderwärmung zu verlangsamen und zu begrenzen.

»Wetterfest« wird Dein Erzählen, wenn es nicht, wie es Ghosh dem klassisch-realistischen Roman vorwirft, blind und ignorant bleibt gegenüber den sich allenthalben abzeichnenden Veränderungen, die Verschiebungen in Plotdesign und Dramaturgie, Figurenzeichnung und -konstellation sowie auch der Sujetwahl mit sich bringen werden.

Der Klimawandel ruft Storyteller:innen auf, zu mahnen, zu warnen, zu informieren, zu motivieren und zu inspirieren, fordert von Visionär:innen, erfinderisch und kreativ zu werden, neue Wege aufzuzeigen, wie menschliches Leben in Zukunft aussehen könnte und sollte.

Ich hoffe, ich konnte Dein eigenes Erzählen mit meinen Prognosen und Schlussfolgerungen inspirieren.

Dein

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Kommentare

2 Antworten zu „So machst Du Dein Erzählen »wetterfest«“

  1. Avatar von Ron Kellermann

    Ein sehr interessanter und inspirierender Text. Vielen Dank dafür.

  2. Avatar von Claudia Lösel
    Claudia Lösel

    Was für Gedanken, lebendiges „Vorführen“ neuer Herausforderungen und Möglichkeiten. Ein Feuerwerk mit so vielen Details, Struktur und Inspiration! DANKE für DEIN umfangreiches, wertvolles „wetterfest“ machen FriedrichVonSchon.

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